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Wirtschaft
25.08.2020
25.08.2020 12:39 Uhr

Rheintal in Top Ten der High-Tech-Standorte Europas

Markus Bänziger, Präsident IHK St. Gallen-Appenzell, setzt auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Bilder: zVg)
Markus Bänziger, Präsident IHK St. Gallen-Appenzell, setzt auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Bilder: zVg) Bild: leader
Das Rheintal ist die zweitstärkste Exportregion der Schweiz und pflegt viele Verbindungen zum grenznahen Vorarlberg und Fürstentum. Zusammen gehört man zu den Top Ten der Wirtschaftsregionen Europas.

Nicht nur in der Schweiz zählt das St. Galler Rheintal zu den wirtschaftsstärksten Regionen. Auch in Österreich stellt das Vorarlberger Rheintal eine wirtschaftliche Grossmacht dar. Etwa 30 000 Arbeitnehmer pendeln in diesem Grossraum täglich über die Grenze. Wie ist die Zusammenarbeit der Unternehmen über die Grenze, was sind aktuelle Projekte? Der LEADER hat der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell, der Industriellenvereinigung Vorarlberg und der
Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer auf den Zahn gefühlt.

«Gemeinsam ist man stärker»

Das St.Galler Rheintal und die daran angrenzenden Regionen gelten innerhalb der Schweiz als eine der stärksten Industrieregionen. Insgesamt gehört das Rheintal europaweit zu den wichtigsten Hightech-Standorten. Gemäss einer Studie des Forschungsinstituts Contor rangiert es gar in den Top Ten von über 1 200 Regionen. «Gemeinsam ist man stärker», ist Markus Bänziger, Direktor der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell, überzeugt. Dies sieht auch Mathias Burtscher, Geschäftsführer der IV Vorarlberg so: «2018 hat eine Studie ergeben, dass die Region rund um Vorarlberg – also die westlichen drei Bundesländer in Österreich, das Fürstentum Liechtenstein, die Ostschweiz und die deutschen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg – die elftgrösste Volkswirtschaft weltweit ist.» Der mit Abstand grösste Teil der Grenzgänger pendelt aus Vorarlberg ins Schweizer Rheintal. Fast 2 000 Liechtensteiner arbeiten in der benachbarten Grenzregion. «Umgekehrt arbeiten bei uns rund 22 000 Grenzgänger aus der umliegenden Region, vor allem dem Rheintal und Vorarlberg», erklärt Brigitte Haas, Geschäftsführerin der liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer.

Brigitte Haas, Geschäftsführerin der liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer, kann auf 22000 Grenzgänger in Liechtenstein verweisen. Bild: leader

Zusammenarbeit nicht unbeschränkt gut

«Verschiedene Unternehmen verfügen über eigene oder sehr eng kooperierende Zulieferbetriebe beidseits der Grenzen», so Markus Bänziger. Dies bestätigt auch Brigitte Haas. «Gleichzeitig stehen natürlich Betriebe der Region, die im gleichen Bereich tätig sind, auch im gegenseitigen gesunden Wettbewerb», so Haas. Einige der grösseren liechtensteinischen Unternehmen hätte ihren Hauptsitz in Liechtenstein und Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften in Liechtenstein und in Vorarlberg. «Es sind also in vielen Bereichen enge und gute Verflechtungen da.»

Für Mathias Burtscher gibt es in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit noch sehr viel Luft nach oben. Zwischen Unternehmen funktioniere es noch am besten, weil es teilweise gemeinsame Interessen, Märkte oder Projekte gebe, «aber ich bin auch überzeugt, dass viele Unternehmen jenseits der Grenze nicht wissen, welches Potenzial gemeinsam zu erschliessen wäre», so Burtscher. Die IV-Vorarlberg sehe die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Raumes mit und rund um Vorarlberg als zentral an. Dazu gehöre auch der deutsche Teil.

Sichtbare Projekte wichtig

Eine aktuelle Initiative, bei der die IV-Vorarlberg dabei ist, ist der «Rheintaler Unternehmertreff» – eine lose, grenzüberschreitende Initiative von Unternehmern, den Arbeitgeberverbänden AGV Rheintal und Sarganserland-Werdenberg sowie der IV-Vorarlberg. So wurden etwa 2019 die wirtschaftlichen Daten der grenzübergreifenden Region aufbereitet und publiziert. «Die Rheintaler Wirtschaft steht für 250 000 Arbeitsplätze und 25 000 Unternehmen, das ist vielen gar nicht bewusst», so Burtscher. Die grenzüberschreitenden Beziehungen müssten deshalb aktiv gefördert werden.

Für Markus Bänziger ist das gemeinsame Bekenntnis des Landes Vorarlberg, der Kantone St.Gallen, beider Appenzell sowie des Oberthurgaus zum Metropolitanraum Bodensee mit über 700 000 Einwohnern ein wichtiges Signal in die richtige Richtung. Auch in der Bildung arbeiteten die Länder gut zusammen, so agiere Liechtenstein als Mitträgerin der neuen Fachhochschule Ost, und mit Vorarlberg bestehe eine Zusammenarbeitsvereinbarung. Auch der angedachte HSG-Campus an der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn sei ein Projekt mit Zukunft. Das sieht Mathias Burtscher ähnlich. Für ihn ist das A und O, dass es «sichtbare gemeinsame Projekte gibt». Ein solches wäre der HSG-Campus Vorarlberg.

Brigitte Haas hebt zusätzlich das grenzüberschreitende Berufsbildungswesen hervor oder die länderübergreifenden Agglomerationsprogramme, die den öffentlichen und den Langsamverkehr fördern. Als wichtiges langfristiges grenzüberschreitendes Projekt nennt Markus Bänziger «Rhesi», den Hochwasserschutz des Rheintals. Hier empfinden Burtscher wie auch Haas die Zusammenarbeit zwischen den Ländern als gut. Wichtig sind für Burtscher auch gemeinsame Interessen wie beim Flughafen Altenrhein, den die IV-Vorarlberg als sehr wichtig einschätzt, oder Projekte, um den Forschungsbereich zu stärken.

Mathias Burtscher, Geschäftsführer der IV Vorarlberg, gibt es bei der internationalen Zusammenarbeit noch Luft nach oben. Bild: leader

Verkehrswege und Zollinfrastruktur

Für die IHK St.Gallen-Appenzell stehen bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rheintal insbesondere auch die effiziente und effektive Gestaltung der Verkehrswege sowie eine leistungsfähige Zollinfrastruktur weit oben auf der Prioritätenliste. «Die Unternehmen in diesem Raum leiden unter wenigen und zu wenig leistungsfähigen Übergängen», sagt Markus Bänziger. Die grenzüberschreitende Bodenseeschnellstrasse S18 oder die Netzwerkstrategie im Raum Diepoldsau, Hohenems, Mäder, Kriessern müssten hier dringend Abhilfe schaffen. Für Mathias Burtscher ist die S18 ebenfalls dringend, aber leider eine «never ending story». «Immerhin hat die Landesregierung klargestellt, dass die Trassenentscheidung trotz unsicheren Zeiten noch 2020 gefällt werden soll.»

Weiter fortgeschritten ist das Projekt einer S-Bahn im Dreiländereck Liechtenstein, Österreich und Schweiz. Auch für Brigitte Haas ist Erreichbarkeit absolut zentral für einen Wirtschaftsstandort. «Der Ausbau der Schieneninfrastruktur, der derzeit auf Schweizer und Vorarlberger Seite stattfindet, ist für Liechtenstein von grosser Bedeutung», so Haas. Die LIHK setze sich stark dafür ein, dass Liechtenstein den Bahnlinien-Doppelspurausbau auf einem Teil der liechtensteinischen Strecke möglich mache und der Verpflichtungskredit vom Liechtensteiner Stimmvolk Ende August angenommen werde.

 Gesamthaftes Denken

Für Markus Bänziger ist klar: «Ein Wirtschaftsraum lebt insbesondere von der persönlichen Zusammenarbeit und damit dem gemeinsamen Arbeitsmarkt sowie von Liefer- und Logistikketten. Alle staatlichen Ebenen – Länder, Kantone und Gemeinden – sowie Politik und Verwaltung haben hier ihren jeweilig besten Beitrag zu leisten.»

Für Mathias Burtscher heisst das: «Wir müssen gesamthafter denken und für die grenzüberschreitende Region mutige Zukunftspläne entwerfen.» Die IV-Vorarlberg habe für Vorarlberg ein grosses Zukunftsbild aus betrieblicher Sicht und Perspektiven der Bevölkerung erarbeitet und der Politik und den Menschen vorgestellt. «Das brauchen wir auch grenzüberschreitend, ein ‹Big Picture›, das die Themen des Lebensraums mit denen eines Wirtschaftsraums für die Zukunft verbindet», so Burtscher.

Für die liechtensteinische IHK gehören hier auch nötige Verbesserungen in rechtlichen Bereichen dazu, die zu wenig Rücksicht auf die eng verflochtenen Regionen nehmen. So zum Beispiel der Abbau von Hürden bei den grenzüberschreitenden Dienstleistungen oder die Erhöhung der Wesentlichkeitsregel bei der sozialversicherungsrechtlichen Unterstellung von Grenzgängern. Für Brigitte Haas zeigt gerade auch die aktuelle Coronakrise deutlich, dass «kein Land alleine und isoliert zurechtkommen kann». Eine Annahme der Begrenzungsinitiative wäre aus Sicht der liechtensteinischen IHK schädlich für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Eine starke Wirtschaftsregion könne bei weitem nicht alleine mit den regionalen Arbeitskräften gedeckt werden.

«Die Schweiz würde sich mit einer Annahme der Begrenzungsinitiative selbst sehr stark schaden», ist auch Mathias Burtscher überzeugt. Dieser Rückschritt für die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz wäre sehr bedauerlich, so Burtscher weiter. Er habe aber grosse Hoffnung, dass die Schweizer dies durchschauten. «Gerade zum jetzigen Zeitpunkt braucht die Wirtschaft Perspektiven aus der Coronakrise.»

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